Rohrbach, Carmen by Muscheln am Weg

Author:Muscheln am Weg
Language: eng
Format: epub
Published: 2013-07-28T16:00:00+00:00

Choco reißt aus

Von Conques nach Decazeville, 23 km

Dunkle Wälder, tiefe Schluchten, sonnige Hochebenen, steile Pfade, enge Brücken und immer wieder Wasserläufe, die wir durchwaten müssen. Schritt um Schritt durchmessen wir das Land. 212 Kilometer ist Chocolat in 17 Tagen mit mir durch Frankreich gezogen, ein Drittel der Gesamtstrecke liegt hinter uns. Im Rückblick summieren sich die vielen kleinen Schritte zu einer erstaunlichen Distanz. Wie wird es weitergehen?

Vom Hotel »Moulin de Cambelong« im Talgrund ist es nicht weit zu einer Steinbrücke, die den Dourdou überwölbt. Die Einheimischen nennen sie »Römische Brücke«. Mag sein, dass ihre Fundamente aus der Zeit der Römer stammen, doch ihre hohen Bögen wurden erst 1410 gemauert.

Am jenseitigen Ufer steigen wir wieder in die Höhe, wandern durch Buchen- und Kastanienwälder. Lianengleich hängen Ranken der Waldrebe im Geäst und Efeu umklammert die Baumstämme. Der Wald geht allmählich über in eine lichte Hochebene. Am Feldrain blühen blaue Kornblumen und roter Mohn. Auf sonnenwarmen Steinen liegen Smaragdeidechsen und huschen davon, sobald unser Schatten auf sie fällt.

Vom Rand des Gebirgsplateaus blicke ich zurück ins Tal, wo im Dunst verborgen Conques liegt. Aus dem sonnenbeleuchteten Nebelmeer ragen einzelne Bergrücken und Gipfel hervor, in der Feme, kaum noch erkennbar, die Höhen des Aubrac unter einem Himmel mit dramatisch geformten Wolken. Der Wind reißt sie auseinander und fügt sie zu immer noch wilderen Figuren zusammen.

Unser Erscheinen in den Ortschaften wird von den Bewohnern immer freudig begrüßt. Manchmal kommen Kinder mit Brot und Mohrrüben für Chocolat und wollen ihn streicheln. Großeltern erklären ihren Enkeln: »Regardez, eine Pilgerin mit Esel auf dem chemin de St. Jacques.« Und selbst über die müden Gesichter der alten Bauern huscht ein Lächeln.

Mittags erreichen wir wieder eine Kapelle des heiligen Rochus. Die lebensgroße Statue mit Muscheln am Hut, Pilgerstab und Kalebasse lässt zwei Pilgerinnen schwärmerisch ausrufen: »Oh, wie schön! Der heilige Jakob!« Die Pestbeule am entblößten Bein und den Hund zu seinen Füßen haben sie übersehen. Rochus, der nach Rom pilgerte und zeitlebens nie in Santiago war, wird dennoch oft mit den Insignien der Jakobs-Pilger dargestellt.

Das breite Vordach der Kapelle biete Schutz bei Regenwetter, so steht es im Führer, und wie bestellt setzt ein heftiger Schauer ein. Mein Esel muss sich entscheiden, nass zu werden oder die Stufen zur Kapelle hochzusteigen. Er findet eine dritte Lösung: Unter tropfenden Bäumen wartet er das Unwetter ab - mit tief hängendem Kopf.

Der Regen schenkt mir Muße, im Gästebuch der Kapelle zu lesen. Ein Pilger, der von Tübingen durch den Schwarzwald, die Vogesen und Burgund wanderte, hatte hier nach 1300 Kilometer erst die Hälfte der Strecke nach Santiago geschafft. Die Sätze des 84. Psalm stärkten ihn und er zitiert: »Glücklich, denen Du Kraft gibst, wenn sie auf dem Weg sind zu Dir, wenn sie durch das trockene Tal ziehen, das Tal der Angst. In der Wüste lässt Gott für sie Quellen rinnen und Regen fallen, dass es blüht wie im Garten. Sie wandern mit wachsender Kraft, bis sie Gott finden auf dem heiligen Berg.«

Ein anderer hat geschrieben: »Wir sind alle Pilger. Auf verschiedenen Wegen erreichen wir ein gemeinsames Ziel.

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